Autoritäre Tendenzen

Asylrecht – Gutscheinsysteme – Bezahlkarten


Die Rückkehr des Gutscheinsystems als Bezahlkarte – Ein (Rück) Blick auf die Geschichte und Kontinuität des Gutscheinsystems und darüber hinaus



In den 1990er Jahren, ging eine Welle rassistische Gewalt durch Deutschland. Angestachelt von Bild & Co häuften sich rassistische Anschläge und Pogrome, es sei auf die bekanntesten in Mölln und Rostock Lichtenhagen verwiesen. In diesem Klima verständigten sich Union, SPD und FDP auf eine faktische Abschaffung des Asylrechts und führten in dem Zuge 1993 auch das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ein. [1] [2] [3]


Das AsylbLG schränkte 1997 mit der Einführung des Sachleistungsprinzip dann auch noch den Zugang zu finanziellen Mitteln für Asylsuchende ein. Anstelle von Bargeld erhielten viele Menschen nur noch Gutscheine oder Chipkarten, die nur in bestimmten Geschäften und für bestimmte Waren eingelöst werden konnten. Diese Regelung war nicht nur eine massive Einschränkung der Selbstbestimmung, sondern auch ein Zeichen der gesellschaftlichen Ausgrenzung. Die Stigmatisierung war vorprogrammiert – wer mit einem Gutschein bezahlte, wurde sofort als „Fremde*r“ identifiziert.

So wurde mit Chipkarten verwaltet, entrechtet und abgestempelt und das bereits vor gut 20 Jahren.

Oben drauf noch eine viel restriktivere Residenzpflicht. Als sie heute mit den Wohnsitzauflagen umgesetzt wird.

Foto: Umbruch Bildarchiv

Eine breite Bewegung von Initiativen führte „Antirassistische Einkäufe“ durch.Zu vereinbarten Zeiten trafen sich solidarische Menschen und Geflüchtete vor Läden und kauften gemeinsam ein. Wir erinnern uns noch gut an die vollen S-Bahnen und Regios aus Berlin nach Brandenburg und die schweren vollgepackten Rucksäcke mit Einkäufen für die WG oder das Hausprojekt.

Durch politisches Engagement von Betroffenen, solidarischen Aktivist*innen und gesellschaftlichen Institutionen, mit Protesten auf der Straße, in politischen Gremien, Gerichtsverfahren, dem „Freien Fluten“ der RZ, der „Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen“, und vielem mehr, wurde es geschafft, dieser menschenunwürdigen Praxis einen Riegel vorzuschieben.

Auf altbewährte Methoden wird nun schon zurückgegriffen. Petitionen, Brandbriefe, Demonstrationen und Klageverfahren. Und was früher die Antirassistischen Einkäufe waren, sind heute die Tausch- bzw. Spenden-Aktionen. Lasst uns weitere Aktionen (er)finden und uns dabei von Ideen vergangener Kämpfe inspirieren lassen.


In Brandenburg wurde das Gutscheinsystem erst 2014 endgültig abgeschafft, nachdem es in einigen Landkreisen, wie beispielsweise in Oberhavel-Mittelmark, noch bis 2014 in Kraft blieb. In Berlin wurde das Gutscheinsystem „bereits“ 2007 beendet, und man hoffte, dass die Zeit der Ausgrenzung und der Entmündigung vorbei sei.

Einen tieferen Einblick in Vorgänge und Strategien gibt der Reader der Chipkarten Ini und die Dokumentation des Gutscheinboykotts in Henningsdorf .

Ganz gestorben war die Idee nie, in Erding (Bayern) gab es von 2016 bis 2020 den sogenannten Kommunalpass , ganz ähnlich der jetzigen Bezahlkarte. Dort setzte die Pleite von Wirecard dem einen Schlussstrich.

Doch die Freude war nur von kurzer Dauer…

Jetzt erleben wir eine schockierende Wiederholung dieser Geschichte: Die Einführung der Bezahlkarten nach dem AsylbLG. Die erste Region in Brandenburg, die diese Bezahlkarten wieder einführte, war der Landkreis Märkisch-Oderland im Mai 2024. Dieser Landkreis ist bereits bekannt für seinen repressiven Umgang mit Geflüchteten. Anstatt den Menschen die Freiheit zu geben, selbst zu entscheiden, wie sie ihr Geld ausgeben, werden sie erneut in ein System gezwungen, das sie entmündigt und isoliert. Die Bezahlkarten sind nicht nur ein technisches Mittel, sondern ein weiteres Werkzeug der Kontrolle und Einschränkung, das die Würde der Betroffenen mit Füßen tritt.

Diese Entwicklungen sind nicht isoliert zu betrachten, sondern stehen im Kontext eines gesellschaftlichen Rechtsrucks, der in den letzten Jahren auch in Deutschland und Europa zu beobachten ist. Die Rhetorik der Ausgrenzung und der Diskriminierung hat an Fahrt gewonnen, die Politik überbietet sich in Forderungen zu noch restriktiverer Asylpolitik und die Einführung von Bezahlkarten ist nur ein weiteres Beispiel dafür, wie populistische Strömungen versuchen, die Rechte von Geflüchteten zu untergraben. Anstatt eine inklusive und gleichberechtigte Gesellschaft zu fördern, wird ein Klima der Angst und des Misstrauens geschürt. Die Bezahlkarten sind nicht nur ein Zeichen der Kontrolle, sondern auch ein Symbol für eine Politik, die Menschen in Not weiterhin diskriminiert und isoliert.


Es gibt nicht nur empörende Parallelen zwischen dem Gutscheinsystem der 90er Jahre und den heutigen Bezahlkarten. Die Bezahlkarte ist das gleiche System im neuen Gewand. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Fehler der Vergangenheit wiederholt werden. Es ist Zeit, die Geschichte nicht nur zu kennen, sondern aus ihr zu lernen und aktiv zu handeln!


Erste Kommunen und Landkreise führen bereits die sogenannte Arbeitspflicht – eher Zwangsarbeit – für Geflüchtete ein und die Gedankenspiele gehen schon weiter: So soll die Bezahlkarte am besten schon bald auf die nächsten marginalisierten und unerwünschten Personengruppen ausgeweitet werden. „Man muss also keine Prophetin sein um vorherzusagen: Interessierte Kreise von [der „Mitte“, Anmerkung d. Verfasser*innen] halb rechts bis ganz rechts werden dafür sorgen, dass die Bezahlkarte ihre Grenzen nicht im AsylbLG finden wird. Sie wird früher oder später als autoritäres Projekt auch auf das SGB II und möglicherweise auf die Kindergrundsicherung übertragen werden, um dem Arbeitszwang Nachdruck zu verleihen, Sozialleistungsbeziehende zu gängeln, zu kontrollieren und zu sanktionieren – und die weitgehend frei erfundenen „Pull-Faktoren“ von Sozialleistungen zu minimieren.“[4]

Lasst uns zusammenstehen und für ein Ende der Bezahlkarten kämpfen! Es ist an der Zeit, die Stimme der Solidarität zu erheben und für eine gerechtere Zukunft einzutreten. Denn wie die Geschichte zeigt: Das gab es schon mal – und wir dürfen nicht zulassen, dass sie sich wiederholt.

Foto: Oliver Feldhaus/Umbruch Bildarchiv