Sehr geehrter Herr Kai Wegner,
Sehr geehrte Frau Iris Spranger,
Sehr geehrte Frau Cansel Kiziltepe,
Sehr geehrter Herr Dietmar Woidke,
Sehr geehrte Frau Katrin Lange,
Sehr geehrte Abgeordnete des Abgeordnetenhauses Berlin,
Sehr geehrte Abgeordnete im Brandenburger Landtag,
Sehr geehrte Kreistagsabgeordnete,
Sehr geehrte Landrätinnen,
wir, die Initiative Nein zur Bezahlkarte Berlin/Brandenburg, sprechen uns entschieden gegen die Bezahlkarte aus. Wir fordern die Landesregierung Berlins sowie die Landkreise und kreisfreien Städte Brandenburgs auf, die Umsetzung dieses Systems zu stoppen bzw. wieder abzuschaffen. Trotz zahlreicher Appelle von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Menschenrechtsaktivistinnen haben die Bundesländer beschlossen, dieses diskriminierende
System dennoch einzuführen. In einer Zeit zunehmender migrationsfeindlicher Rhetorik und
rassistischer Gewalt wollen wir die Stimmen der Menschen verstärken, die am meisten von
den Folgen dieser Politik betroffen sind.
Die Bezahlkarte als Instrument der Kontrolle und Ausgrenzung
Wie Sie sicherlich wissen, wurde die Bezahlkarte in erster Linie eingeführt, um die
Zahlungen von Geflüchteten im Rahmen ihres Asylverfahrens zu kontrollieren. Es gibt ein
monatliches Limit von 50 € Bargeld, das von der Karte abgehoben werden kann. Mit der
Karte kann man nur in Geschäften bezahlen, die Debitkarten akzeptieren, was viele kleinere
(oft günstigere) Geschäfte, Cafés, Bäckereien oder Märkte ausschließt. Es ist unmöglich, mit
der Karte Verträge abzuschließen oder Online-Zahlungen zu tätigen oder rechtliche bzw.
medizinische Rechnungen ohne vorherige Genehmigung durch die jeweiligen Behörden zu
bezahlen.
Rückkehr zum entwürdigenden Gutscheinsystem unter neuem Namen
Geflüchteteninitiativen haben jahrzehntelang gegen das erniedrigende Instrument des
Gutscheinsystems gekämpft. Bis 2015 erhielten Geflüchtete Gutscheine, die nur in
bestimmten Geschäften und Regionen Deutschlands eingelöst werden konnten. Dank
erfolgreicher Proteste wurde das Gutscheinsystem weitgehend eingestellt. In offensichtlicher
Missachtung der geäußerten Bedenken beschloss die Bundesregierung die Einführung der
Bezahlkarte, die zwar einen anderen Namen trägt, aber auf dem gleichen rassistischen System
und der gleichen Argumentation wie das Gutscheinsystem basiert. Wir fordern die
zuständigen Behörden in Berlin und Brandenburg auf, die Bezahlkarte in ihren Kommunen zu
verhindern. Sie ist ein Instrument der Segregation, der Kontrolle und der Repression – zudem
ist sie mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden.
Migration lässt sich nicht durch finanzielle Restriktionen verhindern
Es ist offensichtlich, dass die Bezahlkarte aus höchst zweifelhaften Gründen eingeführt
wurde. So wird argumentiert, die Karte diene der Abschreckung vor weiterer Migration nach
Deutschland. Die Migrationsforschung und auch der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen
Bundestages haben jedoch längst nachgewiesen, dass finanzielle Faktoren nicht ausreichen,
um zu erklären, warum sich Menschen auf gefährliche und oft lebensbedrohliche Reisen
begeben. Die Bezahlkarte wird Menschen nicht davon abhalten, in Deutschland Zuflucht zu
suchen – sie wird ihnen nur noch mehr Rechte, Würde und Entscheidungsfreiheit nehmen und
damit rechte Narrative weiter befeuern.
Verstoß gegen Agenda 2030 / UN Nachhaltigkeitsziele
Die Einführung der Bezahlkarte und die Einschränkung, Geld zur Unterstützung der Familie
in andere Länder zu schicken, stehen auch im Widerspruch zur Agenda 2030 bzw. den
Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, die die Bedeutung von Geldüberweisungen in
die Herkunftsländer für die Reduzierung von Ungleichheit und Armut klar anerkennen. Die
Agenda 2030, zu der sich auch Deutschland bekennt, fordert daher den Abbau von Barrieren
und die Senkung von Gebühren für Auslandsüberweisungen. Zudem ist es wissenschaftlich
belegt, dass Geflüchtete und Asylsuchende nur selten Geld überweisen und wenn, dann nur
sehr geringe Beträge von 20 bis 30 Euro, da ihre finanziellen Möglichkeiten sehr begrenzt
sind. Es stellt sich daher die Frage, warum entgegen der empirischen Evidenz und den
Empfehlungen internationaler Organisationen die finanzielle Freiheit von Asylsuchenden
derart eingeschränkt wird.
Hohe Kosten und bürokratischer Mehraufwand für Kommunen
Die Bezahlkarte bedeutet auch einen erheblichen finanziellen und administrativen Aufwand
für die Landkreise. Sie wird zu einem zusätzlichen Arbeitsaufwand für die zuständigen Ämter
führen, deren Mitarbeiterinnen bereits überlastet sind. Die exorbitant hohen Kosten der Karte sind zudem angesichts der massiven Haushaltskürzungen besonders unangemessen. So hat Brandenburg bereits 1,9 Millionen Euro für die Einführung der Bezahlkarte ausgegeben, wobei in dieser Summe die laufenden Wartungskosten noch nicht enthalten sind. Die Kosten für Berlin werden auf 5 Millionen Euro pro Jahr geschätzt. Das ist sehr verschwenderisch, denn es gibt längst eine einfache, kostengünstige und praxistaugliche Alternative: die Überweisung der Leistungen auf ein Basiskonto. Diese Lösung würde den Aufwand im Vergleich zu Bargeldausgaben erheblich reduzieren und zugleich die finanzielle Selbstbestimmung der Betroffenen gewährleisten – ohne Länder und Kommunen in Abhängigkeit von internationalen Finanzdienstleistern wie Visa und Mastercard zu bringen.
Verletzung von Grundrechten und Datenschutz
Die Bezahlkarte ist rechtlich höchst bedenklich und verletzt grundlegende Menschenrechte und die Würde von Geflüchteten. Sie basiert auf dem segregierenden und verfassungswidrigen Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), das Asylbewerberinnen
effektiv aus den regulären Sozialsystemen ausschließt. Während die Leistungen, die nach dem
AsylbLG gewährt werden, bereits deutlich unter dem Existenzminimum liegen, verstößt die
Bezahlkarte weiter gegen Artikel 1 des Grundgesetzes, indem sie den Empfänger*innen
verbietet, dieses geringe Geld frei auszugeben. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat
2012 entschieden, dass die Menschenwürde nicht für politische Zwecke relativiert werden
darf. Die missbräuchliche Verwendung von Sozialleistungen zur Abschreckung von
Migration ist damit unzulässig.
Die Bezahlkarte wird die Diskriminierung durch das AsylbLG verstärken und damit das
Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) verletzen – wie von der Berliner SenatsOmbudsstelle
für das LADG in Bezug auf das restriktive Bargeldlimit bestätigt. Nicht nur ist
das restriktive Bargeldlimit ein ungerechtfertigtes Hindernis, die Bezahlkarte schränkt das
tägliche Leben der Empfänger auch weiter ein, indem sie ihnen verbietet, in Geschäften frei
zu bezahlen oder Überweisungen zu tätigen. Die Bezahlkarte ist ein Instrument der Kontrolle
und Repression und greift in das Recht der Empfänger auf Selbstbestimmung ein. Dies ist
Teil einer sich vertiefenden Krise des EU-Grenzregimes und seiner feindlichen Asylpolitik
sowie einer Fortsetzung staatlicher Gewalt und Ausgrenzung.
Schließlich haben Datenschutzbeauftragte, wie die Landesbeauftragte für den Datenschutz
Brandenburg Dagmar Hartge, ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Bezahlkarte geäußert,
insbesondere in Bezug auf das sogenannte „Whitelist“-Verfahren, das die Erhebung von
sensiblen Informationen beinhaltet, die besonders geschützt sind. Die Konferenz der
Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder hat erklärt, dass die Weitergabe
des Ausländerzentralregisters (AZR), das den Zugriff auf hochsensible Daten ermöglicht, an
Nichtregierungsorganisationen unzulässig ist.
Schaffen Sie die Bezahlkarte jetzt ab!
Bereits zahlreiche Städte und Gemeinden haben sich gegen die Einführung der Bezahlkarte
entschieden, darunter Potsdam sowie Kommunen in Nordrhein-Westfalen wie Düsseldorf,
Aachen, Dortmund, Krefeld, Münster und Wiesbaden. Diese Kommunen beweisen, dass es
möglich ist, eine menschenwürdige Alternative zu schaffen und sich der rassistischen
Abschreckungspolitik der Bundesregierung zu widersetzen.
Aus diesen Gründen fordern wir Sie auf, die Bezahlkarte in Ihrem Zuständigkeitsbereich zu
verhindern oder abzuschaffen!
Erstunterzeichner:innen:
Aktion Freiheit statt Angst e.V.
Amaro Drom e.V.
Amaro Foro e.V.
Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des TBB
Asyl in der Kirche Berlin-Brandenburg e.V.
BARE Bündnis
Be an Angel e.V.
Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen (BNS)
Bloque Latinoamericano Berlin
borderline-europe – Menschenrechte ohne Grenzen e.V.
Flüchtlingsberatungsstelle des ev. Kirchenkreises Oberes Havelland
Flüchtlingsrat Berlin e.V.
Flüchtlingsrat Brandenburg e.V.
Hände Weg vom Wedding
Initiative Barnim Solidarisch
Interbüro
International Women Space e.V.
Justice Collective e.V.
Migrationsrat Berlin e.V.
Moabit hilft e.V.
MV Louise Michel
Offenes MOL
Solid*base (ehemals ‚Zusammenleben Willkommen‘)
Space2groW
Stop Deportation Center BER
Verband für interkulturelle Arbeit Berlin Brandenburg e.V.
Women in Exile e.V.
Zentrum ÜBERLEBEN gGmBH
AK QUEER WOHNEN
BIG e.V.
Frauenhaus Cocon e.V.
Frauenkreise Berlin e.V.
FRAUENRAUM – Fachberatungs- und Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt e.V.
Frauenzimmer e.V.
Hestia Frauenhaus e.V.
Hydra e.V.
Netzwerk Reproduktive Gerechtigkeit
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Dr.Pogo Veganladen-Kollektiv
FKK 3000 Fahrrad Kollektiv e.V.
Linienstraße 206
Neue Republik Reger GmbH
robinhood store
SO36 e.V.